Abschied von unserem
Francis
Wie kein
anderer Stier auf der Welt hat er dazu beigetragen, dass Millionen über das
unermessliche Leid der Tiertransporte nachgedacht haben. Gestern hat er uns für
immer verlassen. Michael Aufhauser schreibt über seine letzten Stunden.
Viele Millionen Menschen kannten unseren riesigen Ex-Zuchtstier Francis. Gestern
Abend ist er von uns gegangen. Seine Zeit war abgelaufen.
Francis
kam am 07.06.2004 zu uns. Dass er Aiderbichler wurde, war wie immer eine Fügung.
Damals hatte Paul Kaiser wegen „armer Schlachtpferde“ einen Viehhändler in
Oberbayern besucht. Da stand auch Francis und der Händler erzählte ihm, dass
dieser Stier, den er auf 1700 Kilogramm Gewicht schätzte, besonders zutraulich
sei. Er sei für einen Transport in den Libanon vorgesehen und stünde noch so
lange in seinem Stall, bis er mit anderen in einem großen Sammeltransport von
Rosenheim aus nach Triest transportiert würde. Von dort aus ginge es dann weiter
auf eine qualvolle Schiffsreise nach Beirut oder Tripoli. Paul Kaiser rief mich
an und ich zögerte etwas. 1700 Kilogramm, darin sah ich auch ein
Sicherheitsproblem für Menschen. Dann sagte ich einfach zu, weil mich die
Gedanken an die Qualen, die ihm bevorstanden, einfach nicht mehr losließen.
Es ging alles sehr rasch. Schon wenige Tage darauf, kam der Viehhändler mit
Francis auf dem Anhänger. Geld wollte er keines. Er war wütend über sich selbst,
dass es einem Stier gelungen war, sein Mitleid zu erregen.
Wir alle hatten Angst vor dem riesigen Stier. Ein Notstall mit einem Auslauf und
einem doppelt gesicherten Holz- und Elektrozaun wurde schnellstens errichtet.
Ich werde das nie vergessen: Als Francis in seinem neuen Haus stand und ich ihn
ansah, flossen Tränen aus seinen Augen. Er spürte, dass jetzt alles gut ist und
er in Sicherheit. Noch am gleichen Tag sprang Paul Kaiser über den Zaun - mit
Äpfeln. Und Francis streckte seine riesige Zunge raus und genoss sichtlich, dass
man ihm etwas Gutes tun wollte.
Dass er fast in den Libanon zum Schächten gebracht worden wäre und seine ganze
Geschichte - das war auf einem großen Schild an seinem Auslauf für Jeden zu
lesen. Auch drehten wir viele Filme und schrieben viele Artikel über ihn. Wir
wiesen immer wieder daraufhin, dass er ganz einfach Glück hatte und Millionen
Rinder mit Hilfe von EU-Förderungen grauenvoll gequält werden.
Sein Äußeres
war bizarr. Er gehörte der Rasse „Red Holstein“ an. So gezüchtet, dass seine
Nachkommen viel Fleisch dort ansetzen, wo es am Profitabelsten ist. Ohne
jegliche Rücksicht darauf, dass seine Beine, also billiges Fleisch, im Vergleich
zur Größe unterentwickelt blieben. Manfred Karremann hat uns in seinen
Dokumentarfilmen über die Rindertransporte in den Libanon gezeigt, wie sich die
Rinder auf der Schiffspassage Beine brechen und vieles mehr. So ungelenk wie er
war, wäre Francis nichts erspart geblieben. Für unsere Besucher und alle, die
unsere Dokumentationen gelesen und gesehen haben, wurde das Leid der Rinder viel
nachvollziehbarer. Sicherlich hat Francis mit dazu beigetragen, dass die EU die
Förderungen für „Schlachtrinder“ eingestellt hat. Zwischenzeitlich gibt der, von
der EU geförderte, Export von „Zucht-Rindern“ in den Nahen Osten „schwarzen
Schafen“ die Möglichkeit, diese Gesetze zu umgehen, und Rinder-Exporte wieder
attraktiver zu machen. Die großen Mengen an Rindern kommen jetzt zum Schächten
von viel weiter her in den Libanon. Aus Südamerika und Australien zum Beispiel.
30.000 auf einem Schiff sind keine Seltenheit.
Als Francis
ganz alleine und hoch gesichert bei uns stand, beschlossen wir, ihm einen
Lebensgefährten dazu zu stellen. Wie uns der Viehhändler, der ihn uns brachte,
berichtete, war Francis ein Zuchtstier mit zigtausenden Nachkommen. Die Kuh
Conny, die auf Gut Aiderbichl Deggendorf lebt, ist eine seiner Töchter. Also
eine Kuh kam nicht in Frage. Ich hatte 2002 bei einem Besuch auf einem
Schlachthof den völlig verstörten Galloway-Stier Gianni freigekauft. Er war so
ängstlich, dass wir ihn nicht kastrieren lassen konnten. Konnten wir es wagen,
zwei unkastrierte Stiere zusammenleben zu lassen? Uns gab es erst seit knapp
vier Jahren und wir glaubten damals noch, was uns Menschen über Stiere warnend
erzählten: Sie seien aggressiv, unberechenbar und gefährlich. Dass das nicht
stimmt und ihre Gefährlichkeit mit unprofessioneller Behandlung zusammenhängt,
haben wir erst in den Jahren darauf, auch von Gianni und Francis, gelernt. Die
beiden wurden zu unzertrennlichen Freunden. Genossen ihr Leben, das schöner
nicht hätte sein können. Aber dann am 02. Januar diesen Jahres verstarb Gianni.
Francis hat sein Gehen nie wirklich überwunden. Partner, die wir ihm anboten,
lehnte er ab. Die Lamas tolerierte er mit einer gewissen Neutralität. Er nahm
ab. Dann rächte sich an ihm, was der Mensch ihm angetan hat. Seine grotesken
Proportionen machten ihm das Gehen schwer. Die Hinterbeine versteiften sich
immer mehr. Vor einigen Wochen begannen wir damit, ihm Schmerzmittel zu
verabreichen. Vom Kopf her ging es ihm gut. Er genoss seine Ausflüge auf die
Weiden des Frühjahrs.
Letzte
Woche konnte er nicht mehr von alleine aufstehen. Unterstützt von Gurten
stellten wir ihn auf seine Beine. Aber die Intervalle für diese Hilfeleistung
wurden rasch kürzer.
Gestern Abend fuhr ich noch einmal mit Dieter Ehrengruber auf das Gut. Ich
wollte Francis eine Freude machen. Dieter Ehrengruber schnitt frisches Gras und
ich rechte es zusammen. Glückselig und dankbar nahm Francis, der seit fast zwei
Tagen nicht mehr aufstehen konnte, unsere Überraschung an. Da war es schon 20.00
Uhr, und ich entschied mich zu einem letzten Versuch. Pferdewirtinnen Bettina
und Sophie waren noch auf dem Gut. Auch Frederike Lemmberger, die sich liebevoll
um unsere Esel kümmerte. Ich rief Herbert Mackner an, Sepp Enzinger und den
Nachbarn, Vierlinger Sepp. Es war Sonntagabend und meine Anfrage war mir nicht
angenehm. Immerhin arbeiten diese Männer den ganzen Tag über. Kaum hatte ich
ausgesprochen, sagten sie mir ihr sofortiges Kommen zu. Gemeinsam mit Dieter
Ehrengruber zogen sie Francis mit Gurten hoch. Er hatte keine Angst und spielte
mit. Doch konnte er nicht stehenbleiben. Da wurde mir meine Verantwortung klar.
Noch hatte Francis nicht wirklich gelitten, aber der herbeigerufene Tierarzt Dr.
Manfred Anetzeder, der sein Kommen ebenfalls spontan zusagte, erklärte mir, dass
Francis in keinem Fall die nächsten vier Tage überleben würde. Wir alle setzten
uns zu ihm. Gaben ihm Äpfel, Bananen und frisches Gras. Ob es das Adrenalin oder
die Freude über so viel Aufmerksamkeit war, kann ich nachträglich schwer sagen.
Er fraß alles, was wir ihm anboten. Dann ging der Tierarzt behutsam zu seinem
Hals. Dieter Ehrengruber streichelte ihn so, dass er den Arzt gar nicht sehen
konnte. Die Kanüle für die endgültigen Spritzen setzte der Tierarzt so, dass
Francis gar nichts merkte. In weniger als 15 Sekunden wurde er müde und kurz
darauf schlief er für immer ein.
Wir
blieben noch lange beisammen stehen, sprachen darüber, wie wichtig seine Mission
für Gut Aiderbichl und alle Rinder war.
Ich dachte darüber nach, dass es wohl kaum woanders möglich gewesen wäre, so
viele kompetente Menschen in so kurzer Zeit zu finden, die einem Lebewesen den
letzten Gang erleichtern helfen. Noch einmal beugte ich mich über sein Gesicht.
Da waren sie wieder – die Tränen, die ich schon einmal gesehen hatte. Sicherlich
Tränen wie damals, Dankbarkeit. In Momenten wie diesen hilft mir meine naive
Vorstellungskraft. Ich glaubte zu spüren, dass am anderen Ende des Regenbogens
sein Gianni steht.
Francis wurde am 31.08.1999 geboren und ging gestern von uns, am 26.06.2011
Nachrufe für
Francis:
Lieber Francis,
gerade habe ich von Deinem Tod
erfahren – wir haben uns heute Nachmittag doch noch gesehen und ich konnte nicht
ahnen, dass dies unser letztes Treffen sein sollte. Du warst zwar schwach,
hattest aber noch Appetit auf Dein Spezialfutter und ich war mir sicher, dass Du
wieder auf die Beine kommst. Ich durfte Dich sechs Jahre lang kennen, die
Liebkosungen mit Deiner rauen Zunge genießen und war einfach glücklich, dass es
Dich gab.
Ich weiß noch wie heute, als ich Dich
beim ersten Besuch auf Aiderbichl gesehen habe und Du warst auch nicht ganz
unschuldig daran, dass dieser Tag mein ganzes Leben verändern sollte. Noch hatte
ich die Bilder von Manfred Karremanns Reportage „Endstation Beirut –
Tiertransporte, eine Bilanz“ im Kopf, in der über die unendlichen Qualen Deiner
Artgenossen berichtet wurde. Nun stand ich vor Dir, erfuhr, dass Dich das
gleiche Schicksal ereilen sollte und wusste, hier sind Menschen, bei denen
Tierschutz nicht bei den sogenannten Nutztieren aufhört – ich war angekommen und
seit diesem Tag Aiderbichler.
Du warst der sanfte Riese mit den
gütigen Augen, aus denen Tränen flossen – im Gegensatz zu Deinen Artgenossen,
waren es keine Tränen der Angst und des Schmerzes, sondern des Glücks. Am Anfang
warst Du noch einsam und da wurde Gianni, ebenfalls einen Stier, der vor dem
Schlachter gerettet wurde, zu Dir gestellt und damit war Dein Paradies perfekt.
Ihr beide wart unzertrennlich und nicht wenige Besucher haben staunend Eure
Zweisamkeit betrachtet. Die zärtliche gegenseitige Fellpflege, das genüssliche
Schubbern unter der elektrischen Kratzbürste um anschließend oftmals Kopf an
Kopf ein Nickerchen zu halten. Selten habe ich eine Tierfreundschaft erleben
dürfen, die von so viel Zärtlichkeit geprägt war wie Eure. Vielen Menschen habt
ihr vor Augen geführt, welch erbärmliches Leben wir den meisten Rinder zumuten,
reduziert auf den einzigen Zweck, einen saftigen Tafelspitz abzugeben. Da ist
kein Platz für Eure Bedürfnisse, schon gar nicht für Eure Gefühle. Dabei fühlt
ihr nicht anders als wir. Du hast geweint, als Gianni vor einigen Monaten
gestorben ist und seitdem wurde auch Deine Welt etwas kälter. Gianni fehlte Dir
unendlich und das derzeit mehr als wechselhafte Wetter machte es Deiner
angegriffenen Gesundheit auch nicht leichter. Gestern hast Du den Kampf
aufgegeben und Deine vertrauten Menschen haben verstanden. Sie waren bei Dir,
als Du Gianni in seine Welt nachfolgtest und diesmal kullerten bei ihnen die
Tränen.
Im Herzen lebst Du weiter,
aber Deine raue Zunge werde ich nun nie wieder auf meinen Händen spüren. Mach’s
gut mein Großer…
Heidi Michels
Quelle (Bericht & Foto): Gut Aiderbichl
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